Istanbul: Weltstadt der Metamorphosen

Mehr als zweieinhalbtausend Jahre nach seiner Gründung ist Istanbul mit all seinen Widersprüchen quicklebendig. Die Megacity am Bosporus zeugt von der Pracht des Byzantinischen Reiches und der Grandeur des Osmanischen Reiches, die sich in den Bauwerken und der Architektur widerspiegeln. Wer ihr Herz besucht, findet mehr als nur einen geografischen Punkt; ein Mosaik aus Geschichten, Kulturen und weit zurückreichenden Traditionen prägt das unvergleichliche Lebensgefühl einer Stadt, die stetig im Wandel ist. 

 

Kaum eine andere Metropole hat ihr Erscheinungsbild über die Zeit so radikal verändert. Die jüngeren Viertel am Nordufer – Beyoğlu, Karaköy, Cihangir – gelten seit jeher als Brutstätten des Neuen und Zufluchtsort für Einwanderer. Genuesische Kaufleute und Bankiers gründeten hier im Mittelalter Handelsposten und Quartiere. Danach bauten Armenier, Juden und Griechen hier ihre Häuser. Begünstigt durch die Lage am Bosporus und seine Rolle als Nahtstelle zwischen Europa und Asien erlebte Istanbul, das schon vorher eine lange Geschichte als Handelszentrum hatte, im 19. Jahrhundert eine zunehmende Integration in den Weltmarkt.

 

Europäische Geschäftsleute und Diplomaten errichten in der „La Grande Rue de Péra“ mondäne Villen, extravagante Palais, kleine Geschäfte, Cafés, Patisserien, Boutiquen und Warenhäuser, die Luxusgüter führten. Schnell avancierte die Flaniermeile – die jetzt Istiklal Caddesi heißt – zum beliebten Treffpunkt der High Society und internationalen Prominenz. Heute mischen sich progressiv gestaltete Gebäude wie der Çamlıca-Turm und das Atatürk-Kulturzentrum in diese malerische Kulisse und schaffen aus dem ästhetischen Wechselspiel von Farben, Formen, Proportionen, Symmetrien und Materialien ein facettenreiches Ensemble, das einen atemberaubenden Bogen zwischen Epochen und Kulturen spannt. 

 

Die verträumte Seele der Türkei

Die türkische Küstenstadt ist eine Wucht, vor allem für die Sinne. Man lässt sich treiben durch das Wirrwarr der Gassen, Menschen verschwinden im Dunkeln der Kupferschmieden, in winzigen Gewürzläden. An jeder Ecke machen talentierte Straßenmusiker das Trottoir zur Bühne. Wenn die elektrisierende Kraft der Klänge von Bağlama, Ney und Darbuka (Langhalslaute, Rohrflöte, Bechertrommel) einsetzt, klatscht und tanzt das Publikum mal mehr, mal weniger rhythmisch zur Musik, mal mit, mal ohne Gesang. Verwurzelt in den Dörfern Anatoliens, des Balkans und Nahen Ostens öffnet die Volksmusik mit Strophen, die von ganz alltäglichen Sorgen, Nöten, Ängsten und Hoffnungen berichten, ein Fenster in die türkische Seele.

 

Es sind Melodien und Texte, die Sänger, Poeten und Geschichtenerzähler schon seit vorislamischer Zeit allein mündlich von Generation zu Generation weitergeben. Aus traditionellen Elementen, modernen Interpretationen und Einflüssen entsteht so ein enorm breites Spektrum an Stilen, Repertoires, Traditionen und kulturellen Identitäten, die je nach Region und Zeitgeist variieren. Am Galataturm, vor Urzeiten eine Feuerwache, die einen spektakulären Panoramablick über die Stadt und das Goldene Horn bietet, laden regionale Künstler mit überraschend cleveren Arrangements, prickelnder Rhythmik und unbändiger Freude an der Inszenierung zu einer akustischen Reise ein – insbesondere an Wochenenden und Feiertagen. 

 

Die Straße wird zur Bühne

Nur wer die Zeit hat, sich mit ihren Bewohnern vertraut zu machen, wird entdecken, was die 16-Millionen-Metropole am stärksten zusammenhält. Es sind die Rituale, Bräuche und Leidenschaften, die die Menschen in so bunten, quirligen Vierteln wie Balat, Fener, Kadiköy, Üsküdar oder Eyüp tagtäglich zelebrieren, und zwar nur einen Katzensprung entfernt von so spektakulären Sehenswürdigkeiten wie dem Topkapi-Palast, der Basilika Zisterne, dem Harem-Museum oder der Blauen Moschee. Eben da, wo sich Wäscheleinen von Fenstergitter zu Fenstergitter spannen, in versteckten Hinterhöfen greise Frauen Schafwolle spinnen und Männer nach Sonnenuntergang vor rustikalen Tavernen Schulter an Schulter jauchzend im Kreis Halay tanzen. 

 

Durch die pittoresken Häuserzeilen weht ein außergewöhnlicher, fast schon exotischer Duftmix. In den Restaurants wetteifern Zimt, Minze, Koriander und Kreuzkümmel um den betörendsten Geruch; in den Kahvehane, den traditionellen Kaffeehäusern, steigt der fruchtig-würzige Duft von Mokka in die Nase, und nach dem Erhitzen der Schmelzfarben riecht es in den Ateliers der Glasbläser nach verbranntem Metall. Die Türkei ist weltberühmt für ihre Glaskunst, die sich in einigen Museen der Stadt bis in die Zeit der Seldschuken und Arktuiden zurückverfolgen lässt. Im Osmanischen Reich war Istanbul das Zentrum dieses Kunsthandwerks, das mit staatlicher Unterstützung zu einer florierenden Industrie ausgebaut wurde. 

 

Kunstwerke voller Magie und Raffinesse

Eine Technik, die aus dieser Zeit bis heute überlebt hat, ist Çeşm-i Bülbül, bei der dünne, farbige Glasstäbe mit dem Glaskörper verklebt und bei extrem hohen Temperaturen formstabil geschmolzen werden. Anschließend wird das Objekt in seine endgültige Form gebogen. Mit unglaublicher Raffinesse werden so Alltagsgegenstände wie Petroleumlampen, Tulpenvasen, Rosenwasserflaschen, Tassenschalen, Zuckerdosen oder Buntglasscheiben in wahre Kunstwerke verwandelt. Jedes Stück ist einzigartig, anders und exklusiv; ein Original, das von der Magie des geschmolzenen und wieder erstarrenden Materials und des diffizilen Fertigungsprozesses lebt. 

 

Jeder Reisende erliegt irgendwann dem Sog jener Schauspiele, die stolz zelebriert werden, in den Teegärten (Çay Bahçesi), Kräuterläden (Aktars), Bäckereien (Fırın), den Derwisch-Lodges (Dergâh/Tekke) und auf den Basaren. Es sind Orte des Wandels und der Metamorphosen, aus denen Istanbul jene grenzenlose Energie zieht, mit der es sich in die Weltliga der bekanntesten und beliebtesten Städte katapultiert hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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